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Jeder Atemzug birgt in sich die Gefahr, dass ihm kein weiterer mehr folgt.
Uraltes Sprichwort
Nachdem sie sich aus der Höhlenstadt geschlichen hatten und in der Nähe eines Nebenraumhafens ins Sternenlicht hinausgetreten waren, folgte Paul seinem Freund zu einem großen Frachtschiff, das mit offener Luke auf dem Landefeld stand. »Die Rampe hinauf und an Bord nach einem Versteck suchen! Wenn der Ladevorgang morgen früh abgeschlossen ist, wird das Ding starten und von einem Heighliner aufgenommen – der dann zu unbekannten Zielen aufbricht.«
Paul hatte schwer mit Bronsos ungestümer Entscheidung zu kämpfen, aber er sah keine ehrenhafte Möglichkeit, wie er ihn im Stich lassen oder sein Vorhaben verraten konnte. Duncan und Gurney würden niemals damit rechnen, dass Paul etwas so Tollkühnes tat. Er konnte sich weder von ihnen noch von seiner Mutter verabschieden. Wenn er sie sah, würde Jessica sofort bemerken, was mit ihm los war ...
Versteckt zwischen harten, scharfkantigen Containern konnten die Jungen ein paar Stunden unruhig schlafen, bis sie vom Lärm der Arbeiter geweckt wurden, die weitere Fracht ins Raumschiff luden.
»Mach dir keine Sorgen, dieser Teil des Frachtraums ist voll beladen«, sagte Bronso in lautem Flüsterton. »Für die Leute gibt es keinen Grund, hierherzukommen. Keine Sorge.« Paul horchte auf den Tonfall der Stimmen, fand aber keine Anzeichen für zielstrebige Suchtrupps. Es waren einfach nur Männer bei der Arbeit.
Zwei Stunden später war der Frachtraum voll, und das schwere Schott wurde geschlossen. Die Triebwerke liefen an – ohne Schallisolierung. Da der Frachtraum keine Sichtluken hatte, war der Flug in den Orbit laut, langwierig und nervenaufreibend. Doch schließlich, nach mehreren schweren Erschütterungen, lief ein letztes Zittern durch Deck und Wände, und das Zischen eines Druckausgleichs war zu hören. Dann wurde es völlig still im Frachtschiff.
»Ich glaube, wir sind jetzt in der Ladebucht des Heighliners«, sagte Paul.
Bronso streckte sich und blickte sich im schwachen Schein der Notbeleuchtungsstreifen an den Wänden um. »Lass uns gehen. An Bord eines Gildenschiffs gibt es viele interessante Dinge zu sehen.«
Als Bronso feststellte, dass die Zugangstüren von außen verriegelt waren, stieg er eine Leiter hinauf, drückte eine kleine Luke in der Decke des Frachtraums auf und bedeutete Paul, ihm zu folgen. Von dort krochen die beiden Jungen auf das Hauptdeck. Paul hatte sich schon in Frachtern der Atreides-Flotte aufgehalten und erkannte, dass dieses Schiff den gleichen Grundbauplan hatte. Von hier aus konnten sie zur Andockschleuse gelangen und sich auf die vielschichtigen Decks des gewaltigen Heighliners begeben.
Bronso marschierte auf ein Ausgangsschott zu, doch Paul hielt ihn am Arm fest. »Wenn wir auf die Passagierdecks gehen, können wir nicht beweisen, dass wir für die Passage bezahlt haben. Vielleicht sollten wir lieber in unserem Versteck bleiben.«
Der ixianische Junge blickte abschätzig zum Frachtraum zurück. »Willst du dich die ganze Zeit in diesem Frachter verkriechen, bis er sein Ziel erreicht hat? Es ist doch viel spannender, mit dem Heighliner ein System nach dem anderen zu besuchen. Ich will das Imperium sehen, nicht nur die Heimatwelt eines bestimmten Kunden der Ixianer.«
Paul gab nach, und sie traten durch die Verbindungsgänge des Frachtschiffs auf die Empfangsdecks. Hier hielten sich viele Menschen auf, die von den mehreren Hundert Schiffen in der Ladebucht kamen. Die zwei Jungen taten, als hätten sie Wichtiges zu tun, und marschierten mit zügigen Schritten los.
Bronso kramte in seinem Rucksack nach einem Notiz-Kristallprojektor und führte sie in einen stilleren Winkel. Dort rief er einen Grundriss auf, den er in die Luft projizierte, damit auch Paul ihn sehen konnte. »Dieser Heighliner wurde in einer ixianischen Werft gebaut. Ich glaube, wir sind hier, und die Bereiche, zu denen wir wollen« – er deutete auf mehrere Rampen, die im Zickzack an einer Wand der Ladebucht hinaufführten –, »müssten in dieser Richtung liegen.«
Sie mischten sich unter die anderen Passagiere und folgten ihnen über die Rampen auf öffentliche Promenaden, die genauso gewaltig wie die Höhlenstadt Vernii zu sein schienen. Bronso zeigte auf einen luxuriös eingerichteten Salon, wo sich die Passagiere von einem reichhaltigen Büfett bedienten. Paul wurde sich bewusst, dass sein Magen knurrte, und sein Gefährte zögerte keinen Augenblick. Unerschrocken folgten sie zwei älteren Herren durch die Tür zum Salon und steuerten dann den mit Essen beladenen Tisch an. Sie bemühten sich, völlig gelassen zu wirken, füllten ihre Teller und setzten sich dann an einen leeren Tisch.
Sofort erschien ein magerer Wayku, dessen Augen von einer dunklen Sonnenbrille geschützt wurden. Er trug einen schwarzen Kinnbart im blassen Gesicht, Kopfhörer bedeckten seine Ohren, und Paul hörte, dass laute Geräusche daraus hervordrangen. Musik? Stimmen? »Dieses Büfett ist für eine Privatgesellschaft der MAFEA«, sagte der Steward kurz angebunden. »Sie beide gehören nicht zu dieser Gesellschaft.«
Bronso schnappte sich noch einen Bissen, bevor er aufstand. »Das war uns nicht bekannt. Sollen wir das Essen zum Büfett zurückbringen? Wir haben bisher kaum etwas davon angerührt.«
»Sie sind blinde Passagiere.« Die dunklen Gläser machten es unmöglich, den Gesichtsausdruck des Wayku zu deuten.
»Nein«, sagte Bronso. »Wir sind zahlende Passagiere.«
»Es ist meine Aufgabe, ungewöhnliche Dinge zu bemerken. Sie scheinen es sehr geschickt angestellt zu haben, an Bord dieses Heighliners zu gelangen.«
Bronso zog eine verärgerte Miene, als hätte der Steward ihn beleidigt. »Komm, Paul. Wir gehen.«
Dann vibrierte das Deck heftig, und sie verspürten einen kurzen Moment der Desorientierung. Die Miene des Wayku veränderte sich, und er stieß einen resignierten Seufzer aus. »Das waren die Holtzman-Triebwerke. Wir haben das System bereits verlassen, also hat es jetzt keinen Sinn mehr, Sie nach Ix zurückzuschicken. Es ist meine Aufgabe, für die Zufriedenheit der Passagiere und einen reibungslosen Ablauf der Reise zu sorgen.«
»Wir werden keine Schwierigkeiten machen«, versprach Paul.
»Nein, das werden Sie nicht, solange Sie sich an bestimmte Regeln halten. Ich habe nicht die Absicht, Sie zu verraten. Ich bin Ennzyn, einer der Chefstewards, und ich habe Arbeit für Sie beide. Wir leiden ein wenig unter Personalknappheit.« Er hob die dunkle Sonnenbrille, unter der blassblaue Augen zum Vorschein kamen. Sein Tonfall machte deutlich, dass den beiden Jungen keine andere Wahl blieb. »Ich brauche Helfer bei Reinigungsaufgaben.«
Paul und Bronso tauschten einen kurzen Blick aus und nickten dann.
»Essen Sie erst einmal auf.« Ennzyn schickte sie zu ihrem Tisch zurück. »Ich hasse Verschwendung. Wenn Sie fertig sind, zeigte ich Ihnen, wo Sie Ihre Sachen verstauen können.«